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Predigt am Sonntag Estomihi (26. Februar 2017)
Gottes Gnade und Friede sei mit euch allen. Amen.

Das Evangelium für diesen Sonntag steht bei Lukas im 10. Kapitel: Als sie aber weiterzogen, kam Jesus in ein Dorf. Da war eine Frau mit Namen Marta, die nahm ihn auf. Und sie hatte eine Schwester, die hieß Maria; die setzte sich dem Herrn zu Füßen und hörte seiner Rede zu. Marta aber machte sich viel zu schaffen, ihm zu dienen. Und sie trat hinzu und sprach: Herr, fragst du nicht danach, dass mich meine Schwester lässt allein dienen? Sage ihr doch, dass sie mir helfen soll! Der Herr aber antwortete und sprach zu ihr: Marta, Marta, du hast viel Sorge und Mühe. Eins aber ist not. Maria hat das gute Teil erwählt; das soll nicht von ihr genommen werden. (Lk 10,38-42 - LÜ)

Maria und Marta, die beiden ungleichen Schwestern. Was denken Sie denn so über diese beiden Damen? Gibt es da Sympathien für die eine oder die andere? Ich denke, wir sind sehr schnell dabei, uns mit einer der beiden Schwestern zu identifizieren.

Zum Beispiel mit Marta. Die sieht wenigstens, was not tut! Jesus und seine Jünger waren unterwegs. Marta nahm sie auf. Die brauchten keine warmen Worte, die brauchten ein warmes Essen, Wasser um sich frisch zu machen, die brauchten jemand, der ihnen den Staub von den Füßen wäscht und ihnen einen Becher zu Trinken anbietet. Marta ist richtig, die sieht was nötig ist und packt an.

Allerdings kann man sich nicht nur mit ihr identifizieren, denn dass sie ihre Schwester indirekt durch Jesus darauf aufmerksam macht, dass die ja auch zwei Hände und Füße hat und ruhig ein bisschen mit anpacken könnte, dass sie das so indirekt sagt und nicht Maria dezent darauf hinweist, das deutet schon an, dass die beiden einen massiven Geschwisterkonflikt haben.

Nehmen wir einmal an, Marta sei die ältere Schwester, und Maria die jüngste. Wir wissen aus anderer Quelle, dass sie noch einen Bruder namens Lazarus hatten. Marta, die älteste – typisch: früh daran gewohnt, Verantwortung zu übernehmen auch für die jüngeren Geschwister, konnte immer schon alles als erste und musste deshalb auch immer alles machen. Spielte sich allerdings manchmal ein bisschen lehrerhaft auf gegenüber den jüngeren.

Maria, die jüngste, verwöhnt, verspielt, der ließen die Eltern schon eher mal was durchgehen, weil sie abgebrüht waren durch die älteren Geschwister; sie vernachlässigt schon mal die notwendigen Dinge und ihre Pflichten für etwas, das ihr spontan gefällt.

Es gibt herrliche Gruppenexperimente, mit denen man sehr schnell herausfinden kann, ob jemand ein ältestes oder ein jüngstes oder ein mittleres Geschwisterkind ist. Wie ist das bei Ihnen? Oft finden sich als Ehepartner älteste und jüngste Geschwisterkinder zusammen. Das kann dann zu ganz ähnlichen Konflikten führen wie bei Maria und Marta.

Natürlich hat auch Maria ihre Stärken, und vielleicht haben Sie sich vorhin ja auch mit dieser Frau identifiziert: Ihre Begeisterung für Jesus kennt anscheinend keine Grenzen. Sie kann alles stehen und liegen lassen, weil sie sich mit ihm unterhalten will. Sie kann aufmerksam zuhören. Es kommt dazu, dass sie als Frau absolut emanzipiert ist: Sie „setzte sich zu Jesu Füßen“, das heißt im Zusammenhang der damaligen Zeit, dass sie sich zur Schülerin dieses Rabbi, dieses jüdischen Gelehrten Jesus, erklärte. Das war eigentlich Männersache; aber Jesus ließ es zu, und Maria wagte das, in die Domäne der Männer einzudringen und die Gottesgelehrtheit zu erlernen.

Wir sind schnell dabei, die eine Frau zu verstehen, die andere zu kritisieren. Aber dieser Konflikt zwischen zwei konkreten Frauengestalten – wenn wir ihn so austragen, dass wir die eine loben und die andere tadeln, dann hätten wir, glaube ich, nichts verstanden von dem, was Jesus sagen wollte. Denn dieser Konflikt spiegelt sich doch wider in der Seele jedes Menschen. In jedem Menschen ist die Veranlagung, einerseits tätig zu sein, zu schaffen, zu wirtschaften, zu handeln, zu arbeiten. Andererseits ist in jedem Menschen die Veranlagung, nach dem Sinn zu fragen, zu suchen, zu grübeln, zu beten und zu meditieren, die Stille zu suchen. Und der Konflikt zwischen Maria und Marta ist in Wahrheit eine Auseinandersetzung über die Prioritäten in unserem Leben.

Schauen wir uns einmal genau an, wie Jesus auf Marta reagiert: Marta aber machte sich viel zu schaffen, ihm zu dienen. Und sie trat hinzu und sprach: Herr, fragst du nicht danach, dass mich meine Schwester lässt allein dienen? Sage ihr doch, dass sie mir helfen soll! Der Herr aber antwortete und sprach zu ihr: Marta, Marta, du hast viel Sorge und Mühe. Eins aber ist not. Maria hat das gute Teil erwählt; das soll nicht von ihr genommen werden.

Wenn wir es ganz genau nehmen, dann hat Jesus den Dienst der Marta nicht herabgewürdigt. Er stellte lediglich fest: „Du hast viel Sorge und Mühe.“ Martas Handeln wird mit positiven Begriffen belegt: Sie „nahm Jesus auf“, sie „diente Jesus“, ein ganz positiver Begriff im Lukasevangelium. Das wird von Jesus nicht herabgewürdigt. Marta als Person wird von ihm in keiner Weise verurteilt. Die Geschichte geht nicht so leicht auf, dass da die „gute“ Maria und die „böse“ Marta sind, wie in einem Märchen; es ist ja schließlich auch kein Märchen, sondern es geht um zwei konkrete, wirkliche Menschen, die Jesus begegnet sind und seine Freunde waren.

Es geht Jesus nicht darum, die eine Person in ihrem Verhalten zu verurteilen, die andere in den Himmel zu heben. Ich denke, er zeigt vielmehr an, dass beide Verhaltensweisen – das Dienen und das Hören – ihren Platz haben wollen, dass sie zusammengehören. Und dass es dabei auf die Prioritäten ankommt.

Man könnte es vielleicht so auf den Punkt bringen: Bete und arbeite – ora et labora, die alte Mönchsregel. Bete und arbeite. Es beginnt mit dem Beten, das ist die Priorität. Beten heißt: mit Gott, mit Jesus reden, aber es heißt eben auch: auf Jesus hören, so wie es Maria tat, von ihm lernen, mir von ihm zeigen lassen, was dran ist, was wirklich not tut, was wichtig ist für mich und für diese Welt. Das hat Priorität. Damit wir uns nicht verzetteln, damit wir uns nicht verlieren, damit wir nicht nur das anscheinend Nötige sehen und darüber das wirklich Notwendige vergessen.

Für viele Menschen ist Marta ein Ideal. Weil sie anscheinend sieht, was not tut, und sofort und aktiv eingreift und handelt. Dieses Handeln kritisiert Jesus nicht, es ist wichtig und nötig. Aber er stellt ihm etwas zur Seite, nein: er stellt etwas anderes voran, das ebenso nötig, notwendig ist, und das wir nur zu oft vernachlässigen – das Hören auf ihn, auf Jesus, in der Stille. Ohne ein Wort zu sagen, ohne die Hand zu rühren. Marta ist die einzige, die redet. Maria sagt nichts. Sie ist sozusagen die Passive, die Empfangende, Marta ist die Gebende. Marta wird sich aber verausgaben, wenn sie das andere vernachlässigt: das Empfangen, das Hören, die Stille. Sie wird nur noch scheinbare Notwendigkeiten sehen und ihr Handeln davon diktieren lassen. Die vielen dringenden Dinge, die werden sie auffressen. Sie wird von der Not dieser Welt erdrückt werden, sie wird sich vorkommen, wie jemand, der vor einem riesigen Berg Arbeit steht, und er wird und wird nicht kleiner. Sie wird ausbrennen.

Ich möchte diese beiden Frauen und das, was sie tun, nicht gegeneinander ausspielen. Denn beides gehört zusammen, beides ist wichtig, und es gehört in die richtige Priorität: Das Hören und das Handeln. Das Beten und das Arbeiten.

Je nachdem, wo Ihre Sympathien liegen – bei Maria oder bei Marta – können Sie sich selbst einschätzen: Was würde Jesus Ihnen heute Morgen sagen? „Marta, Marta, du hast viel Sorge und Mühe“? Er würde Sie ermutigen, sich zu seinen Füßen zu setzen, sich von ihm beschenken, ja sich von ihm dienen zu lassen, anstatt sich im Dienen für andere zu verzehren. Zu empfangen, damit ich wieder geben kann. Es kann ganz unterschiedlich aussehen: Vielleicht nehme ich mir vor meiner Arbeit meine Bibel und versuche, Jesus in den alten Geschichten zu begegnen; er ist heute noch derselbe wie damals, und ich kann mich sozusagen wie Maria zu seinen Füßen setzen und von ihm lernen. Vielleicht beginne ich wieder zu beten vor Beginn meiner Arbeit – und versuche, dabei nicht nur zu reden, sondern auch zu hören, was Gott mir sagen will. Dass ich die wirklich wichtigen Dinge erkenne, die von Gott her dran sind, und mich nicht in scheinbaren Notwendigkeiten verliere. In der Gemeinschaft mit den anderen, die auch Hörende sind, kann ich es einüben, etwa im Gottesdienst, einem Ort des Hörens, auch der Stille und der Konzentration. Fällt es mir schwer, für die eine Stunde sonntags die Hände einmal in den Schoß zu legen? Und ich weiß doch: Ich brauche das. Damit ich mich nicht verliere. Damit ich in Kontakt bleibe mit Jesus, mit der Quelle meiner Kraft.

Vielleicht hören Sie Jesus aber auch sagen: „Maria, du hast das gute Teil erwählt. Das wird dir keiner nehmen.“ Nehmen Sie das als Bestätigung mit. Und eventuell hören Sie auch zwischen den Zeilen, dass aus dem Hören das Handeln folgen muss. Dass ich nicht hier, im Gottesdienst, zu Jesus Füßen sitzen kann und das, was ich unter der Woche tue, hat dann damit gar nichts mehr zu tun. Nein: Meine Schwester Marta wartet darauf, dass ich ihr helfe. Wenn ich fertig gehört habe, will ich hingehen und ihr helfen und mir ihr Gott und den Menschen dienen mit all meiner Kraft, die er mir dazu gegeben hat. Bete und arbeite. Höre erst – und handle dann.

Ein bekanntes Gebet, mit dem es beginnen könnte, ist dies: „Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom andern zu unterscheiden.“

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen.

© Pfarrer Henner Eurich, Heidelbach