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Predigt bei der Amtseinführung in Heidelbach

Letzter Sonntag nach Epiphanias - 05.02.2017

Gottes Gnade und Frieden sei mit euch allen! Amen.

Das Bewerbungsgespräch des Geistlichen hätte durchaus besser verlaufen können. Gut, dass er mit seinem Lebenslauf nicht gerade glänzen konnte, war klar: immerhin war er ein gesuchter Mörder, das war natürlich die Krönung. Die letzten Jahre hatte er ausschließlich in der Wüste gelebt und Schafe gehütet, fernab von jeglicher Zivilisation. Seine Frau gehörte einer anderen Religion an - gut, das würden sie schon irgendwie schlucken. Aber gravierend war natürlich, dass er kaum einen verständlichen, vollständigen Satz herausbrachte. Wie sollte der denn predigen?

Liebe Heidelbacher, Schwabenröder, Münch-Leuseler und Leuseler, ich frage Sie: würden Sie diesen Geistlichen einstellen? Einen schafehütendenden, stammelnden, heruntergekommenen Mörder? Nicht?

Dann gratuliere ich Ihnen: Sie haben soeben niemand Geringeren als den großen Mose als Bewerber abgelehnt. Da hätten Sie mal lieber den Eurich in die Wüste geschickt, wenn Sie stattdessen den berühmtesten Gottesmann der Bibel hätten bekommen können!

Ich möchte mit Ihnen zusammen heute den Bibeltext von der Berufung des Mose anschauen. Dieses größten Propheten aller Zeiten, der so gar nicht qualifiziert zu sein scheint für ein geistliches Amt. Aber Mose hat von Gott her seine Berufung, und das gibt seinem Leben eine Wende: weg von den Schafen, hin zu den Menschen; raus aus der Wüste, rein nach Ägypten. Wenn es uns gelingt, in diesen Worten der Bibel auch unserer eigenen, persönlichen Berufung ein Stück näher zu kommen, das wäre doch was!

Hört den Predigttext für diesen Sonntag aus dem 2. Buch Mose:

Mose aber hütete die Schafe Jitros, seines Schwiegervaters, des Priesters in Midian, und trieb die Schafe über die Steppe hinaus und kam an den Berg Gottes, den Horeb. Und der Engel des HERRN erschien ihm in einer feurigen Flamme aus dem Dornbusch. Und er sah, dass der Busch im Feuer brannte und doch nicht verzehrt wurde. Da sprach er: Ich will hingehen und die wundersame Erscheinung besehen, warum der Busch nicht verbrennt. Als aber der HERR sah, dass er hinging, um zu sehen, rief Gott ihn aus dem Busch und sprach: Mose, Mose! Er antwortete: Hier bin ich. Gott sprach: Tritt nicht herzu, zieh deine Schuhe von deinen Füßen; denn der Ort, darauf du stehst, ist heiliges Land! Und er sprach weiter: Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs. Und Mose verhüllte sein Angesicht; denn er fürchtete sich, Gott anzuschauen. Und der HERR sprach: Ich habe das Elend meines Volks in Ägypten gesehen und ihr Geschrei über ihre Bedränger gehört; ich habe ihre Leiden erkannt. Und ich bin herniedergefahren, dass ich sie errette aus der Ägypter Hand und sie herausführe aus diesem Lande in ein gutes und weites Land, in ein Land, darin Milch und Honig fließt. [...] so geh nun hin, ich will dich zum Pharao senden, damit du mein Volk, die Israeliten, aus Ägypten führst. Mose sprach zu Gott: Wer bin ich, dass ich zum Pharao gehe und führe die Israeliten aus Ägypten? Er sprach: Ich will mit dir sein. [...] (2. Mose 3,1-14* - LÜ)

Ich fang mal an mit diesem brennenden Dornbusch: Die Besonderheit ist, dass der Busch brennt, ohne zu verbrennen. Das weckt bei Mose die Neugierde, das will er genau wissen, wie das geht. Mit diesem brennenden Dornbusch trifft Gott bei Mose gleich zwei wunde Punkte seines Lebens:

  • Moses fühlt sich unwürdig, Gott zu dienen. Nicht wie eine nützliche Pflanze in Gottes Garten, sondern wie ein völlig nutzloser, schädlicher Dornbusch, den niemand braucht. Er hatte einen Menschen umgebracht. Damit hatte er jegliche Glaubwürdigkeit verloren. Er hatte sich sein Leben verbaut in diesem einen Moment, in dem in ihm auch so ein Feuer gewütet hatte: der Zorn, die Wut, die Verzweiflung; und nachdem dieses Feuer aufgelodert war und der Ägypter tot, da war Moses Leben in sich zusammengefallen wie ein Häufchen Asche, so wie schon viele dieser Dornbüsche, die sich in der Wüste vor Moses Augen in der Glut der Sonne entzündet hatten und nach wenigen Momenten als Asche vom Winde verweht wurden.

Jetzt wird für Mose ausgerechnet so ein nutzloses Ding zu einem Träger von Gottes Gegenwart; ausgerechnet in diesem Unkraut, an dem andere sich die Finger zerstechen, brennt ein unauslöschliches Feuer.

Das wäre dann auch das zweite:

  • Mose ist leer, er brennt nicht mehr. Er lebt nicht seine Berufung. Er ist auf der Flucht - vor dem Pharao, vor den Menschen, vor sich selbst und vor Gott. Die Wüste, das war und ist sein Versteck. Das ist nicht der Platz, wo er eigentlich hingehört. Das ist vielmehr eine Notunterkunft. Hier kann er sich nicht entfalten. Schafe hüten: das war nicht das, was er mal wollte. Er war mit seiner höfischen Ausbildung der wohl überqualifizierteste Schafhirte der Weltgeschichte.

Und da ist auf einmal das Bild von seinem Leben, wie er es sich wünscht: Brennen ohne auszubrennen. Am richtigen Platz zu sein und die Welt ein Stück heller und wärmer zu machen mit dem Feuer, das in mir brennt.

So hat Gott dem Mose mit diesem brennenden Dornbusch gleich die zweifache Wahrheit über seine Situation hingeknallt, und das muss man erst mal verdauen: Dieses Gefühl der Unzulänglichkeit erstens, wo einem bewusst wird, was man alles versäumt hat, was man alles falsch gemacht hat im Leben, es nicht geschafft zu haben - das Gefühl der Unwürdigkeit; und zweitens diese Sehnsucht nach der eigenen Berufung, nach dem Feuer, das brennt, ohne uns zu verzehren, nach der Energie, die senkrecht von Gott in unser Leben kommt und wo wir gleichzeitig ganz bei uns selbst sind, genau an dem Ort, wo wir hingehören - nicht so wie jetzt, im falschen Film, am falschen Ort zur falschen Zeit.

Gott schickt Mose nach Ägypten, in die Höhle des Löwen. Er soll die Israeliten aus der Sklaverei befreien: "Geh hin, ich will dich senden."

Seine Reaktion ist eine Frage - eine der wichtigsten Fragen, die man sich selbst und Gott nur stellen kann: "Wer bin ich? - Wer bin ich, dass ich zum Pharao gehe und führe die Israeliten aus Ägypten?" Wer bin ich? In diese Frage packt er sein ganzes Gefühl der Unzulänglichkeit, sein Versagen und seine Fehler, seine kleine Kraft und seine Ängste hinein. Wer bin ich schon? Wie soll ich das schaffen? Ich bin dem nicht gewachsen.

Wer bin ich? Das ist auch genau die Frage, die uns hilft, unsere Sehnsucht nach Leben zu verwirklichen. Es ist, finde ich, eine der wichtigsten Fragen überhaupt, die man sich nur stellen kann. Manche fragen sich: wo will ich hin? Wo will ich in, sagen wir mal: zehn Jahren sein? Welche Ziele haben Sie sich gesetzt? Wo wollen Sie hin mit dem Leben? Ich meine: "Als so weiter!" ist auch ein Lebensziel. Ob's das jetzt so bringt, weiß ich nicht. Aber der eine hat als Ziel, das Häuschen abzubezahlen. Der andere hat als Ziel, die Schule gut abzuschließen. Der nächste will die Richtige für's Leben finden; sein Nachbar wartet auf seinen Asylbescheid - das ist sein Ziel. Jemand will wieder gesund werden, ein anderer will lernen, mit den Einschränkungen zu leben, die ihm seine Erkrankung gebracht hat. Und die Nachbarin mit ihren 85 Jahren will noch das Urenkelchen sehen. Das sind so Ziele, die wir uns setzen. Sie sind auch wichtig.

Was ich Ihnen sagen möchte: viel, viel wichtiger als die Frage nach diesen Zielen im Leben ist die Frage: Wer bin ich? Denn das ist die Grundlage von allem. Erst wenn ich weiß, wer ich bin, kann ich mir Ziele setzen und sie auch erreichen.

Das Bäumchen setzte sich zum Ziel, süße Kirschen im Sommer hervorzubringen. Aber irgendwann hat es eingesehen: das wird nichts, und das stürzte das Bäumchen in eine tiefe Sinnkrise. "Nie und nimmer werde ich süße Kirschen hervorbringen!" Bis der Gärtner ihm eines Tages leise zuflüsterte: "Macht doch nichts - ich kann es auch nicht, kleiner Apfelbaum!"

Wer bin ich? Das ist die Grundlage. Es genügt nicht, zur Beantwortung dieser Frage in den eigenen Personalausweis zu schauen. Gut, da stehen ein paar Maße und Gewichte drin, aber nicht das Wesentliche.

Mose war ein Mensch in einer Krise. Einer, der nicht mehr so ganz genau sagen konnte, wer er eigentlich ist. Ist er wirklich der treue, zuverlässige Schafhirte und Schwiegersohn des Priesters von Midian? Oder ist er doch der davongelaufene Mörder? Ist er der Prinz von Ägypten, den seine Mutter aus dem Nil gefischt hatte? Oder ist er das Sklavenkind? Ist er ein alter Mann, der sich langsam zur Ruhe setzen sollte, oder ist er der Macher, der jetzt nochmal so richtig durchstartet? Wer bin ich?

Die Antwort Gottes ist wieder mal genial. "Ich werde mit dir sein." Gott sagt dem Mose nicht: "Ja klar, ist mir bewusst, dass du ein Hitzkopf und ein Mörder bist." Gott sagt ihm aber auch nicht: "Was bin ich froh, so ein Prachtexemplar wie Dich gefunden zu haben!" Sondern Gott sagt zu ihm: "Ich werde mit dir sein." Und das ist genug.

Mose und Gott haben damals noch richtig gefeilscht um seine Berufung. Es hat lange gedauert, bis Mose so weit war zu sagen: "OK, ich mach's. Ich geh zum Pharao." Gott hatte viel Geduld mit ihm. Dieses Versprechen vom Anfang: "Ich werde mit dir sein," das war der Schlüssel. Das begleitete Mose sein ganzes späteres Leben hindurch.

Mose hat Ja gesagt zu der Berufung, dem neuen Lebensabschnitt: "Führe mein Volk aus Ägypten!" Die Zweifel an der eigenen Würdigkeit und Kraft hat er überwunden, in dem Wissen: "ER wird mit mir sein." Gottes Kraft allein zählt. Aus dem gesicherten Dasein als Schwiegersohn des Priesters und Schafzüchters ist er aufgebrochen in eine spannende neue Zeit. Da begegnete ihm auch anfangs viel Ablehnung und manche Vorwürfe: "Bist du nicht der von damals?" Aber damit lernte Mose umzugehen, weil er spürte: die Flamme brennt. Und sie brennt nicht aus mir. Das kommt von Gott. Ich brenne, ohne auszubrennen. Ich bin hier richtig.

Als Mose sein Leben beendete, heißt es in der Bibel als Resümee: "Er war der demütigste Mensch auf Erden." Der demütigste Mensch auf Erden: einer, der sich seiner selbst sehr genau bewusst war, also nicht nur seiner Schokoladenseiten, sondern auch seiner Schatten. Der andere nicht von oben herab behandelte, weil er selber ganz unten gewesen war. Der demütigste Mensch auf Erden: der nicht aus sich selber lebte und aus seinen eigenen begrenzten Möglichkeiten, sondern aus dem großen Versprechen Gottes: "Ich werde mit dir sein." Das war seine Qualifikation für das geistliche Amt: Er lebte in der Gemeinschaft mit Gott, im Gespräch und in der Begegnung mit Gott. Der war seine verborgene Quelle. So konnte er brennen, ohne auszubrennen. Das würde im nächsten Bewerbungsgespräch bestimmt wichtig sein.

Ihr Lieben, für meine Familie und mich fängt in diesen Tagen auch ein neuer Lebensabschnitt an. Und natürlich auch für Sie, für meine neuen Gemeinden. Ich merke auch bei mir, dass es in diesen Tagen und Wochen weniger die Fragen nach den Zielen sind, die mich beschäftigen, sondern diese andere Frage: "Wer bin ich?"

Jetzt bin ich also der Pfarrer von Heidelbach - 50%. Ich bin nicht mehr der Berufsanfänger wie vor fast genau 15 Jahren in Eifa. Ich bin ein Ehemann und ein Vater von drei Kindern. Ich bin immer noch ein kleiner Bruder und ein Sohn. Ich bin ein guter Musiker. Ich bringe gerne andere zum Lachen. Ich bin ein Technik-Freak und krieg bei meinem Computer alles selber hin.

"Wer bin ich?" In dieser neuen Lebensphase kann ich mich neu sortieren. Ich darf Dinge verwirklichen, für die vorher keine Kraft und Zeit da war. Ich darf Dinge lassen, die vorher sehr viel Energie benötigt haben. Ich lerne viele neue Menschen kennen, mit denen ich zusammen Gemeindearbeit machen kann. Auch an ihnen erkenne ich immer klarer, wer ich selber bin.

Natürlich ist auch Unsicherheit dabei, die Frage: Wie das wohl alles wird? Wie wirst du "landen" in den neuen Gemeinden? Wie wird das für meine Familie werden? Wie leben wir uns ein? Welche Erwartungen sind da in den Kirchenvorständen, in den Gemeinden, bei meinem Kollegen? Wie bin ich dem gewachsen? Was sind meine Erwartungen, meine Wünsche?

"Ich werde mit dir sein." Das Versprechen Gottes an Mose nehme ich mit in diese neue Zeit, für mich persönlich. Das soll mir wichtiger sein als auf eigene Unzulänglichkeiten, aber auch auf eigene Stärken zu schauen. Gottes Bewerbungsgespräche sind ein bisschen anders. Gott sei Dank!

"Ich werde mit dir sein", das stärke auch Sie, wenn Sie diese Worte Gottes heute hören. Wenn die Frage Sie bewegt: "Wer bin ich eigentlich?" Gott stärke Sie in Ihrer persönlichen Berufung, ob Sie sie nun schon längst gefunden haben oder noch oder wieder neu auf der Suche sind.

"Ich werde mit dir sein:" Gottes Worte mögen Sie stärken, wenn Sie sich am falschen Ort zur falschen Zeit fühlen. Wenn Sie gebrannt haben und das Gefühl haben, es bleibt nur Asche zurück.

"Ich werde mit dir sein:" Gottes Worte mögen Sie stärken, wenn Sie seit vielen Jahren treu ihren Weg gehen in Familie und Beruf und Kirchengemeinde, damit die Quelle nicht versiegt und das Feuer in Ihnen nicht erlöscht.

"Ich werde mit dir sein:" das stärke Sie in den Kirchenvorständen, demütig zu bleiben, unserer kleinen Kraft bewusst, dabei aber groß zu denken, Gottes großer Kraft bewusst, und dann mutig und konsequent in seinem Namen zu handeln.

So spricht Gott: "Ich werde mit dir sein."

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus, unserem Herrn. Amen.

Quellenangabe: Einige Gedanken sind inspiriert durch: Douglass/Vogt, Expedition zum Ich. In 40 Tagen durch die Bibel, Glashütten/Emmelsbüll 2006, 94-100.

© Pfarrer Henner Eurich, Heidelbach