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Predigt am Sonntag Invocavit - 18.02.2018

"... und führe uns nicht in Versuchung!" (Matthäus 6,13a)

Es war ausgerechnet im Advent, da ging die Meldung durch die Nachrichten: Papst Franziskus kritisiert die deutsche Übersetzung des Vaterunsers. "Und führe uns nicht in Versuchung" sei missverständlich, weil man es so verstehen könnte, als würde Gott uns in Versuchung bringen könen, als würde Gott uns vom rechten Weg abbringen wollen. Das sei aber nicht wahr; vielmehr sei es der Teufel, das Böse, die Sünde oder was auch immer, das uns in Versuchung bringe. Franziskus schlug als seiner Meinung nach "bessere" Übersetzung ins Deutsche vor: "Lass uns nicht in Versuchung geraten".

 

Das ist übrigens nicht das erste Mal, das an der Übersetzung des Vaterunsers etwas verändert wird. In Frankreich hieß die Vaterunserbitte bisher "Unterwerfe uns nicht der Versuchung". Das war in der Tat sehr unglücklich übersetzt, und seit dem ersten Advent beten die französischen Katholiken nun "Lass uns nicht in Versuchung geraten".

Es ist auch nicht das erste Mal, dass über diese sechste Bitte des Vaterunsers intensiv diskutiert wurde. Immer wieder einmal haben sich Leute daran gestoßen und gefragt: Was bedeutet das überhaupt?

Dieses Gebet hat es schon in sich: "Führe uns nicht in Versuchung." Was ist das für ein Vater, dieser himmlische Vater, wenn wir ihn bitten müssen, dass er uns nicht in Versuchung führen soll? Das bedeutet ja im Umkehrschluss, dass Gott das durchaus ab und zu tut: Menschen in Versuchung zu führen. Und wir bitten ihn, dies bei uns nicht zu tun.

Was ist denn das eigentlich: eine Versuchung? Jesus hat das so erlebt; er wurde von Gottes Geist, also von Gott, in die Wüste geführt, um dort vom Teufel versucht zu werden. Die Versuchungen waren eine Art Test, eine Probe - eine Bewährungsprobe für Jesus. In der Versuchung stellte sich heraus, ob Jesus den bequemen, leichten Weg gehen würde, den der Teufel im vorschlug, oder ob er bereit war, den schwierigen, unbequemen Weg zu gehen, den Gott mit ihm vorhatte. Jesus hat dieser Versuchung des "einfachen" Weges widerstanden.

Der Teufel schlug dem hungrigen Jesus vor, Steine zu Brot werden zu lassen. Eine typisch teuflische Masche: er reduziert die Menschen gerne auf das Materielle. Er lässt sie mit dem Magen denken. Er lässt sie gerne vergessen, dass sie auch eine Seele haben. Dann laufen sie dem Geld und Besitz hinterher - oder wahlweise beklagen und bejammern sie ihr Leben lang, dass sie nicht genug Geld und Besitz haben und pflegen ihren Neid und Selbstmitleid. Das ist eine Versuchung: sich auf die materiellen, irdischen, vergänglichen Dinge reduzieren zu lassen.

Der Teufel schlug dann Jesus vor, sich vom Tempel hinabzuwerfen, damit Gott ihn auffängt, weil ja geschrieben steht, dass Gott seinen Engeln befohlen hat, ihn zu behüten. Das ist auch so eine teuflische Versuchung: der reißt einfach einen Bibelvers aus dem Zusammenhang raus, das klingt total fromm, aber er reißt ihn aus dem Zusammenhang, und damit wird es falsch. Jesus fällt nicht darauf herein, denn er antwortet, ebenfalls mit der Bibel: "Du sollst Gott nicht herausfordern."

Das ist eine zweite Versuchung: die Dinge aus dem Zusammenhang reißen und nicht mehr das Ganze zu sehen. Der Teufel liebt es, wenn wir einseitig sind, wenn wir nicht alle Seiten hören, zum Beispiel in einem Konflikt. Er liebt es, wenn wir einzelne Worte und Sätze herausgreifen, die wir anderen dann vorhalten... Gott möchte aber, dass wir das große Ganze im Blick haben.

Der Teufel fuhr am Ende mit der größten Versuchung auf: der Versuchung der Macht. Jesus aber konnte ganz getrost auf Gott vertrauen und ihm die Macht überlassen. Jesus hat auf Machtausübung über andere Menschen verzichtet; er hat Liebe gelebt, ohne Gewalt, ohne Macht.

Vielleicht kennen Sie solche Versuchungen auch: wo sie versucht sind, den materiellen Dingen zu große Bedeutung beizumessen und ihre Seele zu vernachlässigen; oder wo sie versucht sind, einseitig zu urteilen und nicht alle Seiten und auch das große Ganze zu sehen; oder auch wo Sie über andere Menschen Macht ausüben, vielleicht auch nur ganz subtil, andere so dezent schieben und manipulieren, wohin Sie die gerne haben möchten.

Das sind nur Beispiele. Versuchungen kommen so daher, dass sie uns einen einfachen, verlockenden Weg, einfache, verlockende Lösungen für unsere Probleme präsentieren. Es geht bei den Versuchungen nicht etwa, wie vielleicht manche meinen, nur um so was wie "Begierden" oder "Gelüste" - das wäre viel zu einfach gedacht. Es geht um etwas viel Gefährlicheres: dass wir uns auf wahrhaft teuflische Denkweisen einlassen und von Gottes Weg abweichen.

Der Teufel hat immer einfache Lösungen - scheinbar einfache Lösungen. Bei denen kommt aber das dicke Ende hinterher. Gott aber verlangt von uns Geduld - und Vertrauen. Vertrauen, dass er uns auf einem guten Weg führt, auch wenn der nicht gut aussieht. Versuchung heißt, dass dieses Vertrauen auf die Probe gestellt wird. Jesus hat auf diese Versuchungen so reagiert, dass er am Vertrauen festgehalten hat. Er war bereit, den Weg Gottes zu gehen. Das bedeutete für ihn viele Widerstände, Schwierigkeiten, Leiden und am Ende den Tod. Aber am Ende den Sieg.

Jetzt zurück zum Ausgangspunkt: "Führe uns nicht in Versuchung!" Nehmen wir einmal an, dass Jesus dieses Gebet auch schon vor dieser Szene mit dem Teufel in der Wüste gebetet hat. Dann müssten wir feststellen, dass Gott dieses Gebet ausdrücklich NICHT erhört hat. Denn er hat Jesus in die Versuchung geführt, in diese Wüste, in diesen Raum mit den einfachen teuflischen Lösungen. Gott hat bewusst Jesus auf die Probe gestellt. Das war hart; das hätte auch ganz anders ausgehen können. Man kann in Versuchungen auch untergehen. Man kann ihnen auch erliegen. Der himmlische Vater hat das bei Jesus ausdrücklich riskiert; er hat ihm das zugemutet - er hat ihm vertraut. Und Jesus hat dem Vater vertraut.

Führt Gott Menschen in Versuchung? Achten wir genau auf die Worte: "in Versuchung führen", das heißt ja nicht, dass Gott der Versucher ist. Der Versucher, das ist nach der Bibel: der Teufel, der Böse, das Böse. Aber Gott führt Menschen in Situationen hinein, wo der Versucher ihnen dann begegnet. Das sind Bewährungsproben im Leben, die sich gewaschen haben. Siehe Jesus. Oder denken Sie auch, als Bibelkenner: an Hiob. Hiob, dem so viel Leid im Leben widerfuhr. Und die einfache Lösung, die der Teufel im einflüsterte: "Hör doch auf, an Gott zu glauben! Es hat doch alles keinen Sinn! Du hast alles verloren, bist sterbenskrank und einsam - es gibt keinen Gott!" Hiob widersteht. Er geht nicht den einfachen Weg, sondern den schwierigen Weg des Vertrauens. Er vertraut Gott auch auf seinem Weg durch das Leid. Er kämpft mit Gott, er streitet mit ihm; er klagt ihm sein Leid, er klagt Gott an und findet ihn ungerecht - aber er sagt sich nicht los von ihm. Er bleibt bei ihm, bleibt sein Kind. Er widersteht der Versuchung.

Ja, Gott lässt Menschen in Situationen geraten, die Bewährungsproben für unser Vertrauen, für unseren Glauben sind. Gott ist nicht der, der uns vom Weg abbringt; das ist der Böse, und das sind wir allzuoft auch selbst mit unseren eigenen Gedanken, Worten und Taten. Aber Gott lässt uns in diese Situationen kommen, ja er führt uns da hinein, wo wir so auf die Probe gestellt werden.

Warum dann diese Bitte: "Führe uns nicht in Versuchung!" Wenn Gott Menschen ja doch in Versuchung führt, warum sollten wir ihn dann bitten, es nicht zu tun? Müssten wir das dann nicht einfach akzeptieren, diese Bewährungsprobe?

Wissen Sie, ich glaube, dass dieses Gebet, das Vaterunser, einfach menschlich ist. Es ist ein zutiefst menschliches Gebet. Ich glaube nicht, dass es Jesus drum ging, dass dieses Gebet in diesem Punkt absolut logisch sich in die Theologie einfügt. Es gibt ein anderes, bekanntes Gebet von Jesus: "Vater, wenn es möglich ist, lass diesen Kelch an mir vorübergehen; aber nicht mein, sondern dein Wille geschehe." Auch hier spricht Jesus eine Bitte aus, von der er weiß: möglicher Weise wird sie nicht erhört werden können. Jesus beugt sich unter den Plan Gottes; aber trotzdem spricht er seinen ganz menschlichen Herzenswunsch aus vor Gott, dass der Kelch des Leidens an ihm vorübergehen möge. So denke ich ist es auch mit dieser Bitte: "Führe uns nicht in Versuchung!" Es ist einfach menschlich, dass wir natürlich nicht gerne in solche Bewährungsproben im Leben kommen wollen. Denn sie sind gefährlich, sie kosten Kraft, wir könnten in ihnen scheitern, wir haben vor ihnen Angst, und sie tun auch weh. Aus diesem ganz menschlichen Gefühl der Angst machen wir ein Gebet: Wir bitten Gott, dass er uns davor behüten möge. Und in Gedanken ergänzen wir vielleicht, so wie Jesus: "Doch nicht mein, sondern dein Wille geschehe."

Ich fasse das noch mal zusammen: "Führe uns nicht in Versuchung" - diese Bitte bedeutet: das gibt es, dass Gott Menschen in Versuchung hineinführt, in Situationen, wo wir auf die Probe gestellt werden. In diesen Situationen können wir auch scheitern und die oft so einfach und einleuchtend scheinenden, die ach so bequemen Wege wählen, die der Teufel uns einflüstert. Gott lässt es drauf ankommen.

Im Übrigen kennt die Bibel auch die Erfahrung, dass Gott in solchen Bewährungsproben seine Kinder nicht untergehen lässt; das lese ich im 1. Korintherbrief im Neuen Testament: "Gott ist treu, der euch nicht versuchen lässt über eure Kraft, sondern macht, dass die Versuchung so ein Ende nimmt, dass ihr's ertragen könnt." (1. Korinther 10,13)

Gottes Ziel ist nicht, dass wir vom Weg abkommen. Sein Ziel ist, dass wir uns bewähren, dass wir wachsen und reifen in den Versuchungen, in den Bewährungsproben des Lebens.

Insofern kann ich dem Vorschlag von Papst Franziskus, so gut ich ansonsten viele seiner Anregungen finde, nicht zustimmen. Die Vaterunserbitte muss nicht geändert werden, zumal sie exakt aus dem griechischen Neuen Testament übersetzt ist - da gibt es nichts zu korrigieren. Aber ich finde es lohnt sich sehr, über diese Bitte einmal intensiver nachzudenken, wie wir das heute getan haben. Dafür bin ich Franziskus dankbar. Vielleicht beten wir künftig bewusster und aufmerksamer: "Und führe uns nicht in Versuchung."

Amen.

© Pfarrer Henner Eurich, Heidelbach