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Predigt am 3. Sonntag nach Trinitatis – 02. Juli 2017

Gottes Gnade und Friede sei mit euch allen! Amen.

Der Predigttext: Lk 15,11-32 Jesus sagte: »Ein Mann hatte zwei Söhne. Der jüngere sagte zum Vater: ›Vater, gib mir den Teil der Erbschaft, der mir zusteht.‹ Da teilte der Vater seinen Besitz unter den Söhnen auf. Ein paar Tage später machte der jüngere Sohn seinen Anteil zu Geld und wanderte in ein fernes Land aus. Dort verschleuderte er sein ganzes Vermögen durch ein verschwenderisches Leben. Als er alles ausgegeben hatte, brach in dem Land eine große Hungersnot aus. Auch er begann zu hungern. Da bat er einen der Bürger des Landes um Hilfe. Der schickte ihn aufs Feld zum Schweinehüten. Er wollte seinen Hunger mit den Futterschoten stillen, die die Schweine fraßen. Aber er bekam nichts davon. Da ging der Sohn in sich und dachte: ›Wie viele Arbeiter hat mein Vater und sie alle haben reichlich Brot zu essen. Aber ich komme hier vor Hunger um. Ich will zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich habe Schuld auf mich geladen – vor Gott und vor dir. Ich bin es nicht mehr wert, dein Sohn genannt zu werden. Nimm mich als Arbeiter in deinen Dienst.‹ So machte er sich auf den Weg zu seinem Vater. Sein Vater sah ihn schon von Weitem kommen und hatte Mitleid mit ihm. Er lief seinem Sohn entgegen, fiel ihm um den Hals und küsste ihn. Aber sein Sohn sagte zu ihm: ›Vater, ich habe Schuld auf mich geladen – vor Gott und vor dir. Ich bin es nicht mehr wert, dein Sohn genannt zu werden.‹ Doch der Vater befahl seinen Dienern: ›Holt schnell das schönste Gewand aus dem Haus und zieht es ihm an. Steckt ihm einen Ring an den Finger und bringt ihm Sandalen für die Füße. Dann holt das gemästete Kalb her und schlachtet es: Wir wollen essen und feiern! Denn mein Sohn hier war tot und ist wieder lebendig. Er war verloren und ist wiedergefunden.‹ Und sie begannen zu feiern.

Der ältere Sohn war noch auf dem Feld. Als er zurückkam und sich dem Haus näherte, hörte er Musik und Tanz. Er rief einen der Diener zu sich und fragte: ›Was ist denn da los?‹ Der antwortete ihm: ›Dein Bruder ist zurückgekommen! Und dein Vater hat das gemästete Kalb schlachten lassen, weil er ihn gesund wiederhat.‹ Da wurde der ältere Sohn zornig. Er wollte nicht ins Haus gehen. Doch sein Vater kam zu ihm heraus und redete ihm gut zu. Aber er sagte zu seinem Vater: ›Sieh doch: So viele Jahre arbeite ich jetzt schon für dich! Nie war ich dir ungehorsam. Aber mir hast du noch nicht einmal einen Ziegenbock geschenkt, damit ich mit meinen Freunden feiern konnte. Aber der da, dein Sohn, hat dein Vermögen mit Huren vergeudet. Jetzt kommt er nach Hause, und du lässt gleich das gemästete Kalb für ihn schlachten.‹ Da sagte der Vater zu ihm: ›Mein lieber Junge, du bist immer bei mir. Und alles, was mir gehört, gehört auch dir. Aber jetzt mussten wir doch feiern und uns freuen: Denn dein Bruder hier war tot und ist wieder lebendig. Er war verloren und ist wiedergefunden.‹ (basisbibel)

Sie alle haben diese Geschichte schon einmal gehört: Das Gleichnis vom verlorenen Sohn. Normaler Weise wird das Gleichnis vom verlorenen Sohn immer aus der Perspektive des jüngeren Sohnes ausgelegt, und das ist ja auch richtig so: Jesus hat die Geschichte erzählt, damit wir uns mit dem verlorenen Sohn identifizieren können. Jesus möchte, dass wir umkehren zu dem liebenden Vater, zu Gott, der auf uns wartet.

Ich möchte heute diese Geschichte einmal anders erzählen. Denn man könnte dieses Gleichnis auch so überschreiben: Die Geschichte vom Vater. Denn Jesus offenbart uns mit dieser Geschichte so viel vom Wesen Gottes, dass ich meine, wenn wir nur diese eine Geschichte über Gottes Liebe kennen würden, dann wäre damit schon so gut wie alles gesagt. Also: hier ist Die Geschichte vom Vater:

Am Anfang der Geschichte sehen wir den Vater, wie er seinen jüngeren Sohn ziehen lässt. Der hatte die Nase voll davon, immer nur weitgehend freie Hand zu haben und nicht völlig freie Hand. Der wollte sein eigener Herr sein. So ließ er sich das Erbe ausbezahlen und ging fort. Im Grunde ist es unverschämt, den eigenen Vater beerben zu wollen, obwohl der noch gar nicht tot ist. Aber der Sohn verlangt es so.

Wie reagiert der Vater? Er geht auf den Willen des Sohnes ein. Er bezahlt ihm das Erbe aus und versetzt ihn so in die Lage, ein Leben ohne den Vater zu führen.

Warum macht Gott so was? Hätte er nicht seinen Sohn lieber zwingen sollen, daheim zu bleiben? Oder ihm zumindest die Unterstützung verweigern sollen? „Du wirst schon sehen, wie weit du ohne mich kommst!“ Aber so denkt der Vater im Gleichnis nicht. Er liebt seinen Sohn. Und weil er ihn liebt, lässt er ihn frei. Er wünscht sich sehnlichst, dass sein Sohn seine Liebe erwidert – und genau damit verträgt sich keine Gewalt, kein Zwang, kein Druck.

Der Vater gibt dem Sohn alles mit auf den Weg. was er braucht, um ohne ihn zurecht zu kommen. Ist das nicht unglaublich: Gott hat uns die Möglichkeit gegeben, unser Leben ohne ihn zu genießen, ohne dabei zu kurz zu kommen! Es ist paradox: Ohne die Zuwendung Gottes könnten wir ein Leben in der Abwendung von Gott gar nicht führen. Dass der Sohn in der Geschichte am Ende bei den Schweinen landet, ist keineswegs zwangsläufig so gekommen. Er hat sein Kapital verprasst. Das musste von Gott her nicht so kommen.

Gott seinerseits ist unglaublich großzügig: Er lässt seine Menschen frei, weil er sie liebt. Keiner wird in die Nähe Gottes gezwungen; denn Gott möchte, dass seine Menschen ihn wieder lieben, aus freien Stücken – da gibt es keinen Druck, keinen Zwang, keine Gewalt – im Gegenteil: Gott stattet uns mit allem aus, was wir zum Leben brauchen; Gott lässt es zu, dass Menschen auch ohne ihn anscheinend prima leben können.

Überlegen Sie einmal, wie viel in unserem Leben wir uns selbst und wie viel wir Gott zu verdanken haben! Viele vergessen das: Dass wir uns eben nicht selbst gemacht haben. Mag sein, wir haben uns aus eigener Kraft emporgearbeitet und einiges im Leben erreicht; darauf dürfen wir gerne auch stolz sein. Aber unser Stolz sollte nicht größer als unsere Dankbarkeit werden: Denn die Kraft, die Ausdauer, die Gesundheit, die Fähigkeiten, die Gelegenheiten, die glücklichen Umstände – das alles kommt von Gott. Unser Leben ist zu 99% Geschenk und wahrscheinlich zu nicht einmal 1% eigene Leistung.

Das, was der jüngere Sohn in der Geschichte ist, wer er ist, verdankt er seinem Vater. Der ließ ihm weitgehend freie Hand – nur das letzte Wort behielt er sich vor. Genau das störte den jungen Mann in unserer Geschichte. Und so sagte er sich vom Vater los. So, wie viele Menschen ohne eine Beziehung zu Gott leben. Das geht ganz gut, Gott hält keinen gegen seinen Willen fest. Gott will unsere freie Entscheidung für ihn. Gott will mit anderen Worten unsere Liebe.

Überspringen wir den gesellschaftlichen „Absturz“ des Sohnes und bleiben wir gedanklich bei dem Vater! In der Geschichte gibt es keinen Hinweis darauf, wie lange die Trennung zwischen Vater und Sohn gedauert hat. Vielleicht waren es ein paar Jahre? So lange saß der Vater zuhause und grübelte über das Schicksal seines verlorenen Kindes nach. Mehr noch: er scheint regelrecht Ausschau nach ihm gehalten zu haben, denn es heißt: Der Vater erkannte ihn schon von weitem. Voller Mitleid lief er ihm entgegen, fiel ihm um den Hals und küsste ihn.

Der Vater rennt seinem Sohn entgegen! Die Menschen, die Jesus damals zuhörten, müssen das geradezu unglaublich gefunden haben. Ein orientalischer Patriarch rannte doch nicht, außer wenn vielleicht Lebensgefahr bestand. Er ging gemessenen Schrittes. Der machte sich doch lächerlich mit seinem Gerenne! Und Gott wird so ganz anders dargestellt in dieser Geschichte von Jesus: Er rennt seinem Kind entgegen.

Die Bibel erzählt, grob gesagt, von zwei großen Bewegungen: davon, wie der Mensch Gott davonläuft, und davon, wie Gott dem Menschen hinterher rennt. Der Mensch will ohne Gott sein, aber Gott will nicht ohne den Menschen sein! Immer und immer wieder versucht Gott, den Menschen entgegen zu rennen. Immer wieder schickt er seine Boten, seine Propheten; aber die Menschen schlagen seine Worte in den Wind. Als alles nichts nützte, sandte Gott zuletzt seinen Sohn. Jesus ist das Entgegenkommen Gottes in Person! Gott wird Mensch, um uns so nahe zu kommen, wie es näher nicht geht. Gott liebt uns, Gott hat unendliche Sehnsucht nach seinen Menschenkindern. Er wartet auf unsere Heimkehr.

Der Vater ist über seinen verlorenen Sohn übrigens weniger zornig, als vielmehr traurig. Er ist voller Sorge und Sehnsucht. Wir können uns förmlich vorstellen, wie Gott im Himmel sitzt und sich die Augen ausweint, wie er aus dem Fenster guckt und sich wünscht, dass es uns gut geht – und wie er hofft, dass wir eines Tages, ob es uns nun gut geht oder schlecht, endlich zu ihm zurück finden.

Am Ende der Geschichte ist es dann so weit: der Sohn kehrt zum Vater zurück. Dann wird die Freude Gottes über den wieder gefundenen Sohn beschrieben: Er nimmt ihn in die Arme und küsst ihn – bevor der Sohn überhaupt etwas sagen kann! Dabei hatte der seinen Satz so schön auswendig gelernt, den er jetzt sagen wollte: 'Vater, ich bin schuldig geworden. Sieh mich nicht länger als deinen Sohn an, ich bin es nicht mehr wert.' Jetzt möchte der Sohn eine Beziehung zum Vater – das, was er vorher nicht wollte. Er tut das einzig Angemessene: Er bittet um Vergebung. Und diese Vergebung hat ihm der Vater durch die Umarmung und den Kuss schon längst gewährt. Kein Vorwurf vom Vater – nur Vergebung und Liebe und Freude. So ist Gott zu uns.

Dann gibt der Vater seinem Kind neue Kleider. Er möchte nicht, dass der Sohn vor den andern beschämt dasteht, nach Schwein stinkt und ständig mit seiner Vergangenheit konfrontiert wird. Die neuen Kleider stehen für den neuen Anfang, den Gott jedem Menschen gewähren möchte, der zu ihm umkehrt. Das Leben kann noch einmal beginnen!

Der Ring, den der Sohn bekommt, ist der väterliche Siegelring. Er ist das Zeichen dafür, dass der Sohn nun auch rechtlich wieder voll und ganz als Kind des Vaters eingesetzt ist. Er ist nun endlich das, was er werden wollte, als er damals den Vater verließ – er ist ein freier Mensch.

Der Vater ruft ein großes Fest aus. Jedes Mal, wenn ein Mensch zu Gott zurück findet, findet im Himmel ein Riesenfest statt. Ja, Gott feiert leidenschaftlich gerne! Darum hat auch Jesus oft und gerne gefeiert, vor allem mit den Menschen, die einen neuen Anfang mit Gott gemacht haben. Das ging so weit, dass seine Gegner Jesus als „Fresser und Weinsäufer“ titulierten. Sie meinten, dass sich Religion eher in Fasten und Askese ausdrücken sollte. Aber das stimmt nicht. Der Himmel feiert ein ausgelassenes Fest, weil sich alle freuen zusammen mit Gott über seine Versöhnung mit dem verlorenen Kind.

So zeigt uns Jesus Gottes Wesen mit dieser bewegenden Geschichte vom Vater: Wie großzügig ist Gott, dass er uns alles mit auf den Weg gibt, um unser Leben zu meistern – auch wenn wir gar nicht nach ihm fragen!? Welche Sehnsucht hat Gott nach seinen Menschen, dass er Tag und Nacht wartet und weint und schließlich seinen Menschen entgegen rennt, weil er nichts sehnlicher wünscht, als dass wir in Beziehung mit ihm treten? Und wie sehr freut sich Gott, wenn ein Mensch heimkehrt zu ihm, einen neuen Anfang macht, die Vergangenheit hinter sich lässt und neu beginnt!

Das ist die Geschichte vom Vater. So ist Gott.

Und wo bin ich, lieber Vater? Daheim bei dir, aber unzufrieden? Fern von Dir, zwar ausgestattet mit allem, was ich brauche, aber ohne dich? Bin ich vielleicht glücklich, endlich ohne die Bevormundung durch den Vater zu leben? Bin ich dort unten, wo es keinen Ausweg zu geben scheint, einsam und verloren? Bin ich auf dem Heimweg, voller Schuldbewusstsein und Zweifeln? Bin ich zuhause angekommen, in den Armen des liebenden Vaters?

Wo ich auch bin: Ich bin und bleibe Dein geliebtes Kind.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus, unserem Herrn. Amen.

© Pfarrer Henner Eurich, Heidelbach