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Predigt am Sonntag Jubilate – 07.05.2017

Gottes Gnade und Friede sei mit euch allen! Amen.

Der Predigttext aus 2. Korinther 4,16-18:

Darum werden wir nicht müde; sondern wenn auch unser äußerer Mensch verfällt, so wird doch der innere von Tag zu Tag erneuert. Denn unsre Trübsal, die zeitlich und leicht ist, schafft eine ewige und über alle Maßen gewichtige Herrlichkeit, uns, die wir nicht sehen auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare. Denn was sichtbar ist, das ist zeitlich; was aber unsichtbar ist, das ist ewig.

„Darum werden wir nicht müde.“ Wir werden nicht müde? Wie kann einer so etwas behaupten?

Also, ich werde müde. Das, was jeden Tag von mir gefordert wird, das macht mich schon müde und erschöpft. Und das, was nicht jeden Tag von einem gefordert wird, sondern diese besonderen Belastungen, auch die machen auch müde und erschöpft. Leid, Krankheit, Trauer: sie machen uns müde.

Müde werden wir auch, wenn wir mit Menschen nicht zurecht kommen. Wir versuchen es immer wieder, zu reden, eine Lösung zu finden, aber es bewegt sich nichts. Das macht müde. Da gibt man irgendwann auf. Müde werden Eheleute, die einander nichts mehr zu sagen haben. Müde werden Nachbarn, die zerstritten sind. Müde werden Menschen, die mit dem Klima im Betrieb nicht mehr klarkommen. Müde werden Menschen, die keine Erfolge mehr sehen, obwohl sie sich verausgaben.

Darum werden wir nicht müde“, so fängt der Predigttext aus dem 2. Korintherbrief an. Warum werden wir nicht müde? Ich möchte das wissen, ich würde gerne das Rezept erfahren. Was lässt einen nicht müde werden?

Der Predigttext hat eine Vorgeschichte. Da steht was davor. Er ist ein wenig aus dem Zusammenhang gerissen. Denn davor schreibt Paulus unter anderem diesen Satz: „Wir tragen allezeit das Sterben Jesu an unserem Leibe, damit auch das Leben Jesu an unserem Leibe offenbar werde.“ (2. Kor 4,10)

Warum werden wir nicht müde in den Herausforderungen des Alltags? Warum werden wir nicht müde in den besonderen Anfechtungen des Lebens? Warum werden wir nicht müde in dem mühsamen Miteinander mit anderen Menschen? Weil wir wissen, dass wir mit Jesus Christus verbunden sind. So sehr verbunden, dass wir an seinem Leiden teil haben, an den Anfechtungen und Schmerzen des Lebens; so sehr verbunden mit ihm, dass wir aber auch an seinem Leben Anteil haben dürfen: an der Kraft, die ihn aus dem Tod auferweckt hat, an der unerschöpflichen Kraft Gottes, die am Anfang das Leben aus dem Nichts schuf, das Licht aus der Dunkelheit, und die neues Leben aus dem Tod hervorbrachte am Ostermorgen.

„Darum werden wir nicht müde; sondern wenn auch unser äußerer Mensch verfällt, so wird doch der innere von Tag zu Tag erneuert.“ Ach so: Der äußere Mensch zerfällt, aber der innere wird von Tag zu Tag erneuert. Das verstehe ich: Paulus unterscheidet den äußeren und den inneren Menschen. Der äußere Mensch, der trägt die Zeichen der Erschöpfung, der hat nicht unbegrenzte Kraftreserven, der wird müde und matt. Der wird alt und schwach, der wird auch krank, und der wird auch einmal sterben. Aber der innere Mensch: der wird erneuert, der erhält neue Kraft aus einer Lebensquelle, aus der Kraft Gottes, die Jesus von den Toten auferweckt hat und die auch uns auferweckt, schon hier mitten im Leben und einmal dann, wenn wir bei ihm sein werden.

Manche machen es mit ihrem äußeren und inneren Menschen genau umgekehrt: Sie haben vergessen, dass sie einen inneren Menschen haben, und der wird müde und stirbt leise einen unsichtbaren Tod. Weil er vernachlässigt wird. Weil sich niemand um ihn kümmert, um den inneren Menschen. Und der äußere Mensch, der wird aufgepeppelt, aufgebrezelt. Das leibliche Leben, das ist dann alles. Obwohl wir alle wissen, dass Leben viel mehr ist als nur zu vegetieren.

Wir Menschen haben große Probleme mit dem Verfall unserer Arbeitskraft und Vitalität, mit dem Verlust der Gesundheit und Unversehrtheit; es bedeutet ja schließlich auch einen Rieseneinschnitt, wenn ich nicht mehr so kann wie früher. Da kann man schon müde werden, wenn man 40 Jahre lang gearbeitet hat und dann auf einmal zum alten Eisen gehört, nicht mehr kann; oder wenn man hinfällig wird, vergesslich, verwirrt. Wenn man nur noch liegen muss. Oder auch wenn man erlebt, wie die Familie zerbricht, das, was einem im Leben Halt gegeben hat und Geborgenheit; wie man sich voneinander entfremdet. Zeichen dafür, dass der äußere Mensch verfällt.

Wenn auch unser äußerer Mensch verfällt, so wird doch der innere von Tag zu Tag erneuert.“ Moment mal: das geht mir zu schnell. Der innere Mensch wird erneuert, von Tag zu Tag? Also ich habe oft das Gefühl, dass mein innerer Mensch auch manchmal lange Durststrecken durchmachen muss. Schön wär’s, wenn er täglich runderneuert würde! Aber auch mein innerer Mensch hat Kratzer und Dellen abbekommen, und auch er ist manchmal müde und matt.

Ich möchte das herausfinden, was der Apostel Paulus damit meint, dass der innere Mensch täglich erneuert wird. Der hatte ja schon eine enorme Lebenserfahrung, als er das schrieb. Hatte eine Menge durchgemacht, einen Schatz nicht nur an positiven, sondern auch an negativen Erlebnissen – das macht diesen Satz von ihm für mich gerade bedenkenswert. Weil er ein Mensch ist, der war wie wir – der zum Beispiel unter einer schweren, unheilbaren Krankheit litt, wahrscheinlich war es Epilepsie und auch ein Augenleiden. Weil er ein Mensch ist, der nicht nur Erfolge sah, sondern auch bittere Niederlagen. Ein Mensch, der abgelehnt wurde; der es schwer hatte, von den anderen anerkannt zu werden und hart dafür arbeiten musste. Der verfolgt wurde und misshandelt für seine Überzeugungen. Wenn so einer sagt: „Mein innerer Mensch wird von Tag zu Tag erneuert,“ dann spitze ich die Ohren. Wenn das irgend so ein amerikanischer Vielschreiber von sich gibt, so ein Motivationstrainer oder irgendein Guru, dann interessiert es mich schon gar nicht mehr. Aber einer mit der Lebenserfahrung eines Paulus, so einer ohne Glanz und Glimmer, einfach ein Mensch mit seinen ganz normalen Belastungen und seinen ganz normalen Begabungen, das lässt mich aufhorchen. Wie machte der das: den inneren Menschen von Tag zu Tag erneuern, und nicht müde werden?

Ein Rezept hat er uns nicht hinterlassen. Aber unser Text geht weiter, er hat eine Nachgeschichte, wir dürfen ihn nicht aus dem Zusammenhang reißen; hören Sie: „Denn unsere Trübsal, die zeitlich und leicht ist, schafft eine ewige und über alle Maßen gewichtige Herrlichkeit, uns, die wir nicht sehen auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare. Denn was sichtbar ist, das ist zeitlich; was aber unsichtbar ist, das ist ewig.“ Unsere Trübsal ist zeitlich und leicht! Das scheint mir der Schlüssel zu sein, wie er die Müdigkeit überwinden konnte, wie sein innerer Mensch wieder zu Kräften kommen konnte. Unsere Trübsal ist zeitlich und leicht! Aber die Herrlichkeit, die Gott für uns bereit hält, ist ewig und über alle Maßen gewichtig.

Uns kommt es ja eher umgekehrt vor: Das, was uns belastet, das erscheint uns unendlich schwer, und da ist auch oft kein Ende in Sicht. Wir können uns nicht vorstellen, dass es noch einmal anders würde. Und Gott scheint so weit weg. Aber wenn Gott uns den Blick für die Ewigkeit öffnet, wenn wir wegschauen lernten von dem, was doch letztlich vergänglich ist, was zwar dem äußeren Menschen heftig zusetzt, aber den inneren Menschen nicht zerstören kann, wenn wir unseren Blick lenken könnten auf Gottes Ewigkeit, weg von dem was vor Augen ist, hin zu dem, der unsichtbar die Fäden zieht, hin zu einer Welt, die wir nicht mit den Augen sehen, aber die viel realer ist als alles Materielle, weil sie doch der Ursprung von allem ist, weil sie doch schon da war, bevor das Leben aus dem Nichts wurde. Wenn uns dies gelingen würde: weg von uns hin auf ihn zu blicken, auf Christus – dann wird unser innerer Mensch erneuert, da empfängt er neue Kraft.

Solange wir unsere Wunden lecken und uns selbst bemitleiden, solange wir auf die Probleme gebannt schauen und nichts anderes mehr denken können, wird unser innerer Mensch müde werden und sich irgendwann leise verabschieden. Wenn wir auf Christus schauen, wird unser innerer Mensch erneuert. Er wird Quellen der Kraft auftun, mitten in der Dürre des Lebens. „Was sichtbar ist, ist zeitlich“ – was für ein Trost! Ja, die Vergänglichkeit kann ein Trost sein, denn sie schließt auch die Vergänglichkeit von all dem ein, das uns belastet und bedrückt und müde macht.

Wenn Probleme auftauchen, neigen wir dazu, sie für ewig zu halten. Es tröstet mich zu hören und mich an den Gedanken zu gewöhnen: Was du jetzt leidest, ist zeitlich begrenzt. Gott aber hat dich für die Ewigkeit geschaffen. Meine Schwierigkeiten, Krankheiten, meine Trauer und meine Sorgen – sie sind nicht ewig. Auch wenn es mir manchmal unendlich schwer erscheint mag.

Wir dürfen aufhören, unsere Wunden zu lecken. Hebe deine Augen auf und schaue ihn an, Jesus, unseren Herrn. Wie er dich liebevoll ansieht. Und dann hört er dir eine Weile zu, und dann hörst du ihm eine Weile zu. Vielleicht schweigt ihr miteinander. Dann stellst du dir vor, Jesus würde dir so begegnen, wie den Menschen damals. Denn er ist ja für mich genau so da wie für die anderen.

Dann bin ich der gelähmte Mann, dem Jesus die Sünden vergibt. Dann geht es auf einmal wieder weiter in meinem Leben, und ich kann überwinden, was mich lähmte.

Oder dann bist du die samaritische Frau, der Jesus half, ihre Vergangenheit zu bewältigen. Was gewesen ist, muss Dich nicht mehr belasten. Denn er sieht Dich so an, als sei nichts gewesen, und alles ist gut.

Oder dann bin ich der Thomas, dem Jesus half, mit seinen Zweifeln klar zu kommen. Ich schaffe es, wieder zu vertrauen, auch ohne sichtbare Erfolge.

Oder du bist die Frau, die mit ihren vielen Tränen Jesus die Füße gewaschen hat. Und es hat sie befreit, so vor ihm zu weinen, und was die anderen über sie redeten, das war ihr ab diesem Moment völlig egal, weil sie wusste: ER akzeptiert mich so, wie ich bin.

Jesus wird uns begegnen wie den Menschen damals, denn wir sind ihm genau so wichtig. Dann berührt er unseren inneren Menschen und macht ihn neu. Wenn wir wollen, jeden Tag aufs Neue.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus, unserem Herrn. Amen.

© Pfarrer Henner Eurich, Heidelbach