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(Erschienen unter der Rubrik "An-ge-dacht" in unserem Gemeindebrief)
Wir schreiben das Jahr 1632: Im Juli verbietet der päpstliche Inquisitor das Buch "Dialog über die zwei wichtigsten Weltsysteme". Anschließend wird der Autor Galileo Galilei von der Kirche als Ketzer verurteilt. Weil er geschrieben hatte: Die Erde bewegt sich um die Sonne. Die katholische Lehre sah das damals genau umgekehrt: Die Sonne bewegt sich um die Erde.
Heute lernt es jedes Kind: Die Erde bewegt sich um die Sonne. Aber dennoch stimmen regelmäßig 20 bis 30% (!) der Befragten der Aussage zu, dass sich die Sonne um die Erde drehe. Nun, wir haben Meinungsfreiheit - insofern steht es jedem frei, dieser Meinung zu sein.
Es gibt sogar einige unbelehrbare Menschen, die glauben, dass die Erde eine flache Scheibe sei. Im März dieses Jahres hat der Amerikaner Mike Hughes sich mit einer selbst gebauten Rakete 570 Meter hoch in den Himmel geschossen, um von dort oben zu beweisen, dass die Erde flach ist - obwohl bereits seit dem 3. Jahrhundert vor Christus allgemein fest steht: die Erde ist eine Kugel. Aber auch "Mad Mike", wie der Amerikaner genannt wird, steht unter dem Schutz der Meinungsfreiheit. Er muss sich halt nur fragen lassen, wie es auf einer flachen Erde gleichzeitig in Moskau hell und in Washington dunkel sein kann. Ich fürchte, da kommt er mit seiner "Theorie" ins Schleudern.
"Mad Mike" ist nicht allein. Besonders durch das Internet und die sozialen Medien werden heute wieder vermehrt sehr krude Verschwörungstheorien verbreitet - und nicht wenige Menschen schenken ihnen Glauben. Hier ein paar Beispiele:
• Die Mondlandung sei eine Erfindung der NASA und sei in Hollywoods Film-Studios abgedreht worden.
• Aus Flugzeugen würden giftige Substanzen versprüht ("Chemtrails"), um die Anzahl der Menschen zu reduzieren oder das Klima zu verändern oder auch zu militärischen Zwecken.
• Den Erreger der Krankheit AIDS (das HIV-Virus) gebe es gar nicht.
• Impfungen würden mehr schaden als nutzen, zumal das Masern-Virus noch niemand je gesehen hätte. Die Pharma-Industrie wolle nur an den Impfungen Geld verdienen.
Auch wenn Sie vielleicht den Kopf schütteln: Das alles (und noch viel mehr Unsinn) ist gedeckt durch die Meinungsfreiheit. Das alles darf man sagen, schreiben, veröffentlichen - man darf es sogar glauben. Aber: Wird es dadurch wahr? Was sind Fakten, und was sind "Fake News" oder falsche Meinungen? Diese Unterscheidung ist wichtig, ja manchmal lebenswichtig.
Beispiel AIDS: Der ehemalige südafrikanische Präsident Mbeki sagte noch im Jahr 2005: AIDS wird nicht durch ein Virus ausgelöst. Weil er diese Meinung in seinem Land verbreitete, konnten sich viele Menschen nicht vor Ansteckung schützen oder bekamen nicht die richtige medizinische Behandlung, darunter viele Kinder, die bereits bei der Geburt durch die Mutter infiziert wurden. Sie und viele andere wurden Todesopfer von Fake-News.
Es kann dem Rest der Menschheit egal sein, dass "Mad Mike" an die flache Erde glaubt; er tut damit ja keinem weh. Aber es kann uns nicht egal sein, ob es Viren gibt, ob Impfungen wirken, ob der Klimawandel menschengemacht ist und ob der Holocaust stattgefunden hat. Denn dabei stehen grundlegende Rechte, die Gerechtigkeit, das Leben und die Gesundheit von vielen Menschen auf dem Spiel.
Die Fernsehmoderatorin Miriam Pielhau ist im Juli 2016 mit 41 Jahren an Krebs verstorben. Sie hatte sich zuletzt auf ein angebliches Wundermittel verlassen. Über jenes "Medikament" waren gefälschte Studien veröffentlicht worden - es gab aber keine wissenschaftliche Überprüfung der Wirksamkeit. Besonders fies ist das, weil gewissenlose Leute die Not und die Ängste schwerkranker Krebs-Patienten ausnutzen. Das macht mich richtig wütend.
Wie können wir gesicherte Fakten von falschen Meinungen unterscheiden? Ich würde es einmal so formulieren: Was von vielen fachkundigen Menschen über einen längeren Zeitraum systematisch genau untersucht wurde und möglichst mit allen gemachten Beobachtungen übereinstimmt - das sind gesicherte Fakten.
Wir müssen nicht alles glauben - wir dürfen nicht alles glauben. Vielleicht wundern Sie sich, dass ausgerechnet ich als Pfarrer das so schreibe. Aber seit Galileis Prozess hat sich die Erde weitergedreht. Wir sind inzwischen so weit, dass heute der Pfarrer appellieren muss, nach wissenschaftlich gesicherten Fakten zu fragen und nicht auf Verschwörungstheoretiker, Pseudowissenschaftler und Scharlatane hereinzufallen.
Neu ist das alles nicht: Schon Jesus und seine Jünger hatten mit "Fake-News" zu kämpfen. Jesus gab damals einen klugen Rat:
"Seht euch vor vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen, inwendig aber sind sie reißende Wölfe. An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. So bringt jeder gute Baum gute Früchte; aber ein fauler Baum bringt schlechte Früchte."
(Matthäus 7,15-17*)
Darin finde ich zwei wichtige Punkte zum Erkennen von "Fake-News" - oder biblisch gesprochen "falschen Propheten":
1. Was ist die Motivation, mit der jemand seine Meinung vorträgt? Es hört sich vielleich angenehm an, es klingt vielleicht gut, es entspricht vielleicht genau meiner Meinung - aber warum erzählt mir derjenige das, was er da erzählt? Ist er vielleicht ein "Wolf im Schafspelz" - das ist das Bild für die gefährlichen, falschen Behauptungen, die sich so angenehm und gut anhören. Natürlich hören wir Menschen lieber, dass wir ruhig so weiter machen können wie bisher. Das ist leichter auszuhalten als wenn uns einer sagt: Ihr müsst euern Lebensstandard runterschrauben, sonst zerstört ihr die Erde. Natürlich hören wir Menschen gerne, wenn unsere Vorurteile bestätigt werden - denn das ist leichter als sich einen Irrtum einzugestehen und umzudenken. Aber schauen wir uns den Wolf im Schafspelz genauer an: Wer ist die Person, die mir das erzählt? Warum erzählt die mir das? Ganz wichtig auch: Von wem wird diese Person bezahlt? Und wer profitiert von dieser Erzählung?
2. Was sind die Früchte, die den Propheten folgen? Dabei geht es um die Glaubwürdigkeit: Was passiert denn, wenn wir denen glauben? Was kommt dabei heraus? Wie leben diese Leute eigentlich selbst? Welche Werte sind denen wichtig? Kommt bei denen Gutes heraus oder Böses?
Jesus selbst ist an seinen eigenen Maßstäben zu messen. Jesus hat unangenehme Wahrheiten ausgesprochen. Dabei war er nicht auf den eigenen Vorteil bedacht. Er hat in Kauf genommen, dass er abgelehnt und sogar zum Tod verurteilt wurde. Er hat seine Botschaft nicht dem Zeitgeist angepasst, und er hat sein Fähnchen nicht in den Wind gehängt. Seine Motivation war: Gottes Liebe. Und darin ist er absolut glaubwürdig.
Die Früchte, die Jesus folgen, können sich auch sehen lassen: Seine Lehre ist im Wesentlichen Liebe - "Liebe Gott über alle Dinge und liebe deinen Nächsten genau so wie du dich selber liebst." (Matthäus 22,37-39) Seine Lehre hat verzweifelten Menschen neue Hoffnung gegeben. Er hat viele Menschen in eine liebevolle Beziehung zu ihrem Schöpfer gebracht. Seine Lehre hat Menschen dazu geführt, sich für andere einzusetzen. Das sind gute Früchte.
Wenn man hingegen schaut, was Menschen aus der Lehre Jesu gemacht haben: Kriege im Namen Gottes, Zwangsmissionierungen, großes Unrecht unter dem Dach der Kirche, Verleugnung der Wahrheit - siehe Galilei ... Aber: wenn wir das Jesus anlasten wollten, würden wir ihm nicht gerecht werden. Das geht bitte alles auf die Rechnung von Menschen, welche die Botschaft Jesu ins Gegenteil verkehrt haben - natürlich zu ihrem eigenen Nutzen, wie das eben so ist bei den falschen Propheten.
Was ist die Motivation, und was sind die Früchte? Ich denke, damit hat Jesus uns zwei wichtige Maßstäbe an die Hand gegeben, um so manches beurteilen zu können, was uns zugetragen wird im 21. Jahrhundert. Mögen die falschen Propheten ihre "Fake-News" verbreiten. Mögen sie dabei auch viel Glauben finden für ihre Thesen - sogar das hat Jesus vorhergesehen: dass die Menschen manche Lügen eher glauben als die Wahrheit (Matthäus 24,24). Am Ende wird sich aber bestätigen: "Die Wahrheit wird euch frei machen." (Johannes 8,32)
Wir schreiben das Jahr 1992: Am 2. November wird Galileo Galilei auf Betreiben von Papst Johannes Paul II. voll rehabilitiert. Er soll sogar im Jahr 2019 eine lebensgroße Statue aus Marmor in den vatikanischen Gärten erhalten.
Am Ende setzt sich die Wahrheit doch durch. Darum: Mut zur Wahrheit!
Pfarrer Henner Eurich